Die blaue Linie

Die blaue Linie

Auf dem rieseigen Steintisch vor dem Refugio Costa dampft der frisch gekochte Kaffee aus unseren Tassen. Es ist Anfang November, die Grashänge sind braun, die Gämsen haben schon Winterfell und nachts sinken die Temperaturen hier oben unter null. Dafür leuchten die Lärchen in allen Gelbtönen und bilden einen herrlichen Kontrast zum Blau des Himmels. Kurz bevor der Winter kommt, zeigt sich hier die Natur noch mal von ihrer schönsten Seite. Während uns die letzten Sonnenstrahlen wärmen, genießen wir die Aussicht auf das Verzasca Tal und blicken zurück auf die letzten Wandertage.
Mit dem Finger fahre ich auf der Karte entlang der blauen Linie, die den Verlauf der Via Alta della Verzasca (VAV) zeigt. Vor vier Tagen sind wir in Mornera, der Bergstation der Monte Carasso Seilbahn, gestartet und haben nun drei Etappen der VAV gemeistert. Für mich ist es schon jetzt einer der schönsten, abwechslungsreichsten und herausforderndernsten Höhenwege der Alpen. Immer der blau-weißen Markierung folgend, verläuft der Weg die meiste Zeit über die Grate und Gipfel der Bergkette zwischen dem Valle Leventina und dem Verzasca Tal. Mal über felsdursetzte Grashänge mal über schräge Felsplatten. Manchmal scheint es als ob man ohne große Kletterei nicht weiter kommt, aber am Ende gibt es doch immer eine machbare Variante. Schwindelfrei muss man trotzdem sein, denn die meiste Zeit verläuft der Weg tatsächlich entlang der schmalen Grate. Nur zu den Hütten steigt man in die Talkessel hinab. Die kleinen Steinhütten sind einfache aber gemütliche Selbstversorgerhütte und bieten alles was man nach einem langen Wandertag braucht. Dank der Nähe zur italienischen Grenze gehört Kaffe zur Grundausstattung und so kann man am nächsten Tag mit frischen Kräften wieder zum Grat aufsteigen. Hier wird man mit atemberubenden Ausblicken in alle vier Himmelsrichtungen belohnt. Das Gefühl von Freiheit, das einen hier oben überkommt, entschädigt für die Mühen des Aufstiegs. Der Horizont wirkt unendlich und der Blick verliert sich in den Formen der Bergketten, die in der Ferne ineinander verlaufen…

 

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